Die Bierbänke wippen unter dem bayerisch weiß-blauen Himmel. Der Applaus klatscht von einer Mauer des Klostergartens zur anderen. „Bravo!“ „Jawoll!“ Ein aufstrebender CSU-Politiker, der sich als „überzeugten Stoiberaner“ bezeichnet, hat gerade hier, im Allgäuer Städtchen Immenstadt, diesen Satz gesagt: „Kopftücher raus aus den Klassenzimmern, Kreuze rein!“ Ab diesem Zeitpunkt hatte er, Markus Söder, das Publikum auf seiner Seite.
Das war Anfang der Nullerjahre im Wahlkampf. In Immenstadt gab es damals – wie heute – viele türkischstämmige Einwohner. Kopftücher trugen ein Dutzend älterer Frauen – die Allgäuer Bauernmütterchen auf dem Markt mit eingeschlossen. Nach Mädchen mit Kopftuch hielt man erfolglos Ausschau.
Vor sich hinweißwurschteln
Der Moment an jenem Sommertag illustriert, wie die CSU Irrelevanzen auf- und überlädt und so zum Vehikel für politischen Erfolg macht. Sicher: Symbolpolitik betreibt jede Partei. Allein: Die Christ-Sozialen haben’s hier zur Meisterschaft gebracht. Wohl vor allem deshalb, weil ihr Leistungsausweis im realpolitischen Geschäft derart schlecht ist, dass man damit weder ein Lebkuchenherz auf der Wiesn noch Wählerstimmen gewinnen dürfte. Eigentlich.
Doch noch immer würde ein Drittel der bayerischen Stimmberechtigten laut Umfragen der CSU ihr „Kraiz“ an der Landtagswahl am 14. Oktober schenken – und damit eine Partei wiederwählen, die vor allem eines tut: vor sich hinweißwurschteln.
Hier einige Gründe, warum die CSU unwählbar ist:
Tradition und Heimat sind für die CSU zentral. Die Frage stellt sich dann allerdings, warum die Partei dieses Kernthema mit Füßen tritt. Das beginnt schon in der Lokalpolitik. So stand am Klosterplatz in Immenstadt ein jahrhundertealtes Haus – und entsprechend unter Denkmalschutz. Eines Tages verschwand die Plakette, die auf den Denkmalschutz hinwies. Das Haus wurde 2001 – unter der Ägide des CSU-Bürgermeisters Gerd Bischoff – abgerissen. Heute steht dort eine Sparkasse.
In der Diskussion auf EU-Ebene über eine Zulassungsverlängerung für den wegen seiner Aggressivität umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat stimmte Christian Schmidt 2017 als Landwirtschaftsminister im Alleingang für eine Verlängerung. Der CSUler hatte damit rein wirtschaftliche Interessen über Naturschutzbedenken gestellt – und dies noch ohne grünes Licht der Kanzlerin. Mögliche negative Auswirkungen auf die grünen Wiesen unter dem bayerischen Himmel? Des is Wurscht!
Die CSU lässt es aber nicht nur zu, dass architektonisches und natürliches Kulturgut eingerissen wird. Sondern auch das sprachliche – womit wir bei der Bildungspolitik wären.
Nicht auf der Höhe der Zeit
Der Allgäuer Dialekt stirbt, wie andere Dialekte in Bayern, aus. Es wäre ein Leichtes, im bildungsföderalen Deutschland Dialekte zu unterrichten. Das bayerische Kultusministerium tut hier aber genau: nichts. Andersherum etwa in Niederbayern, wo an zahlreichen Schulen nicht Hochdeutsch, sondern Dialekt im Unterricht gesprochen wird. Einige Niederbayern haben größere Schwierigkeiten hochdeutsch zu sprechen als Schweizer. Einheitliche Bildungspolitik in Bayern? Fehlanzeige.
Dabei rühmt die CSU bei jeder Gelegenheit das bayerische Bildungssystem ob seiner Großartigkeit. Abgesehen davon, dass ein dreigliedriges Schulsystem bei einem zweigliedrigen Arbeitsmarkt (Ausbildungsberufe und Berufe, die ein Studium voraussetzen) wenig Sinn ergibt, gibt es zahlreiche Baustellen im bayerischen Bildungswesen.
Von einer Baustelle stahl sich die CSU aus machtpolitischen Erwägungen davon. Die schwarze Landtagsmehrheit hatte auf 2007 die Einführung von Studiengebühren beschlossen. In den Jahren danach formierte sich immer größerer Widerstand. Abschaffen wollte die CSU ihre eigene unpopuläre Idee aber nicht. Das wäre ein Eingeständnis des Scheiterns gewesen. Und ausserdem stand ja im Jahr 2013 die Landtagswahl ins Haus.
Anfang jenes Jahres stimmten die Bayern in einem Volksbegehren für die Abschaffung der Studiengebühren. Die CSU war somit fein raus. Der damalige Koalitionspartner FDP hatte nämlich an den Gebühren festhalten wollen. Wäre die Frage der Studiengebühren auf dem normalen Landtagsweg gelöst worden, hätte die Koalition gewackelt, wäre vielleicht sogar zerbrochen. Ein Debakel vor der Landtagswahl. So hatten die Gegner der Studiengebühren durch ihre Stimme beim Volksentscheid der CSU den Machterhalt sichern geholfen: die CSU regierte danach wieder alleine.
Was hat die CSU bildungspolitisch sonst noch so gemacht, außer Monika Hohlmeier, Tochter des CSU-Übervaters Franz Josef Strauß, zur Kultusministerin zu machen, weil Connections offenbar wichtiger sind als Expertise? Auf der Höhe der Zeit ist das bayerische Schulsytem jedenfalls nicht.
Während andere Staaten oder sogar Waldorfschulen in Bayern vor 15 Jahren schon Informatik-Unterricht anboten, gab es damals an meinem Gymnasium einen freiwilligen Kurs „Zehn-Finger-Tippen“. Wir schafften es bis zum sechsten. Andere Bundesländer sind hier auch weiter.
Theokratisches Bildungssystem?
Hinter manche ist Bayern längst an zurückgefallen, was Qualität im Bildungssystem angeht. Es gibt Gymnasien in Bayern, an denen gerade einmal 40 Prozent der Übertrittler aus der Grundschule das Abitur schaffen, wie an meiner Schule damals. Gymnasiasten mit Migrationshintergrund gibt es viel seltener als in anderen Bundesländern. Bayern gilt Bildungsforschern nach wie vor als Beispiel dafür, dass soziale Herkunft den schulischen Erfolg maßgeblich bestimmen.
Wer die Schulbildung in Bayern dagegen maßgeblich mitbestimmt, ist der werte Herrgott. Im Bayerischen Gesetz über Erziehungs- und Unterrichtswesen, das im Jahr 2000 unter der Ägide Edmund Stoibers neu gefasst wurde, ist der Erziehungs- und Bildungsauftrag klar festgehalten. Im ersten Absatz wird die „Ehrfurcht vor Gott“ als erstes von mehreren „obersten Bildungszielen“ genannt. Hier geht es aber nicht um Religionsunterricht, sondern Unterricht allgemein, was etwa an der bayerischen Schule, an der eine Freundin von mir arbeitet, im Kollegium für hitzige Debatten sorgt.
Die Diskussion unter bayerischen Lehrkräften überrascht nicht. Schliesslich kommt dieser Bildungsauftrag einem Bruch mit dem Artikel 107 der bayerischen Verfassung über Religions- und Gewissensfreiheit bedenklich nahe. Ein Gedankenspiel drängt sich hier geradezu auf: Was, wenn man das Wort „Gott“ durch die arabische Übersetzung „Allah“ ersetzen würde? Man fände sich schnell in Bildungssystemen wie in Pakistan oder im Iran wieder.
Dass die CSU wenig von einer Trennung von Staat und Kirche hält, zeigt auch der Kreuzerlass von Markus Söder, der Flüchtlinge für „Asyltouristen“ hält. Am Eingangsbereich eines jeden bayerischen Dienstgebäudes muss als „Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns“ ein Kreuz aufgehängt werden. Doch die kulturelle Symbolik ist reiner Vorwand. Der bayerische Ministerpräsident stellt ganz klar fest, dass das Kreuz „in erster Linie ein religiöses Symbol“ ist.
Der Kreuzerlass ist wie vieles, was die CSU betreibt, gesellschaftspolitischer Kokolores. Das beginnt schon auf Gemeindeebene. In Passau stellte die CSU den Antrag, betteln zu verbieten. Dass Betteln kein Straftatbestand ist, erklärte dann das Ordnungsamt der CSU. „Kommunale Verordnungen, die das Betteln im öffentlichen Raum generell verbieten wollen, hielten einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.“
CSU gegen eigene Familienpolitik
Sozial schwächere haben ohnehin keinen guten Stand in der CSU-Politik. So hatte Markus Söder als Finanzminister ermöglicht, dass 30’000 Wohnungen in Bayern privatisiert werden. Jede dritte Wohnung der Wohnbaugesellschaft ist eine Sozialwohnung.
Sozialpolitischen Sprengstoff birgt auch etwa das Familiengeld, das in Bayern seit dem 1. September einkommensunabhängig ausgezahlt wird. Eltern, die Hartz IV beziehen, werden laut Arbeitsministerium wohl nichts davon haben. Denn das Familiengeld muss als Leistung angerechnet werden, ein Harzt-IV-Empfänger mit Kindern dann Abzüge hinnehmen. Ein Vorab-Wahlgeschenk für den Mittelstand, ein Danaergeschenk für ärmere Familien.
Dabei sollte doch Bayern laut CSU-Website „das Familienland sein“. Prominent ist dort ein Zitat von Horst Seehofer platziert: «Es war so und wird so bleiben bei der CSU, dass wir Ehe und Familie besonders fördern und unterstützen.» Ob Seehofers Seitensprung und die daraus entstandene Tochter seine Ehe gefördert haben, ist nicht übermittelt. Jedoch finden sich im Grundsatzprogramm weitere spannende Inhalte zur Familienpolitik. Dort heißt es: „Wir bevormunden Eltern nicht. Der Staat muss die Erziehungshoheit der Eltern respektieren.“
Dass Eltern Kindergeld an ihrer Kinder ins Ausland schicken, will die CSU aber nicht. Mehr noch: Wochen, nachdem belegt worden war, dass Kindergeld-Betrug kein flächendeckdenes Phänomen, sondern eines von Einzelfällen ist, twitterte die CSU für Markus Söder: „Stoppen wir den Kindergeldtransfer an irgendwelche Banden im Ausland und zahlen wir lieber Kinder- und Familiengeld an unsere Familien.“
Die CSU tut also genau das Gegenteil dessen, was sie als Familienpolitik im Grundsatzprogramm anführt. Noch 2014 hieß es in einem Leitantragsentwurf für den CSU-Parteitag, Migranten müssten zuhause deutsch sprechen. Die CSU hat mit einer liberalen Partei nichts zu tun, auch wenn Markus Söder dies betont, wenn er gegen „Gender-Verbote“ (sic!) und ähnliches wettert – nicht aber gegen die CSU-verhängten Feiertags-Tanzverbote.
Autoritärer Geist in der CSU
Die anti-pluralistischen Tendenzen in der CSU spiegeln sich auch in ihrem Rechtsverständnis wider. Beispiel: Das neue Polizei-Aufgabengesetz, das laut Innenminister Joachim Herrmann ja eigentlich gar keine Veränderung bringt – was die Frage nach der Berechtigung für so ein Gesetz aufwirft. Kritik am Gesetz bezeichnete Herrmann als Lügenpropaganda. Mit diesem Duktus ist er nahe an Bundesinnenminister Seehofer, der sagte: „Wir müssen nicht nach Russland schauen. Die meisten Fake News werden in Deutschland produziert, von Medien wie von Politikern.“
Diese Geringschätzung und Diskreditierung von Meinungsvielfalt war auch in Augsburg zu beobachten. 2013 hatte sich der CSU-Ordnungsreferenten und spätere Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich von einem User-Kommentar auf der „augsburger-allgemein.de“ in seiner Ehre verletzt gesehen. Er verlangte die Herausgabe der Daten. Weil sich die Redaktion dem verwehrte, rückte die Polizei zur Beschlagnahmung der User-Daten an. Später urteilte ein Gericht: Die Durchsuchungsanordnung der Redaktion war rechtswidrig.
Seehofers Idee, Flüchtlinge direkt an der Grenze ohne Kontrolle zurückzuweisen – und ohne bilaterale Abkommen mit den Nachbarstaaten – zeugte von europapolitischer Ignoranz. EU-Recht sorgt auch immer wieder für Fragezeichen bei CSU-Exponenten. Als Alexander Dobrindt als Verkehrsminister seine Ausländermaut vorstellte, sagte mir ein Brüsseler Kommissionsbeamter, habe man sich an den Kopf gefasst. Mit dem Vorgänger Ramsauer hätte man wenigstens konstruktiv zusammengearbeitet.
Aber auch unter Ramsauer ging es nicht so richtig vorwärts mit der Infrastruktur in Deutschland. Straßen und Brücken verlottern. In Sachen Digitalisierung ist Deutschland im Europa-Vergleich abgeschlagen. Bayern auch. Hier gibt es auf einigen Bahnstrecken nicht einmal Netz für Mobiltelefonie. Ein Ärgernis für jeden Bayern, der im Zug sitzt – mit „Laptop und Lederhosen“, wie es sich die CSU wünscht.
„Resterampe“ besser als München
Kein Wunder, dass Start-ups der digitalen Ökonomie sich in Berlin, oder wie Söder sagt „Resterampe der Republik“, aber kaum in Bayern ansiedeln. Dafür hat man ja jetzt ein eigenes bajuwarisches Raumfahrtprogramm, das Söder ausgerufen hat. „Mission One“ soll viele neue Arbeitsplätze schaffen. Ist das jetzt der Beginn christlich-sozialer Wirtschaftspolitik?
Den wirtschaftlichen Erfolg Bayerns sich auf die eigenen Parteifahnen zu schreiben, ist bisher jedenfalls kaum gerechtfertigt. Die Berge, Seen und Schlösser, die jährlich Millionen von Touristen anziehen, hat die CSU jedenfalls nicht aufgestellt. Die Steuermillionenbringer Siemens und BMW hatten schon vor der Gründung der CSU 1945 ihren Sitz in Bayern. Audi kam vier Jahre später hinzu.
Audi, der ostdeutsche Zuwanderer, an welchen Problemen er wohl Schuld trägt? Schließlich ist laut Bundesinnenminister Horst Seehofer die Migration „die Mutter aller Probleme“ – übrigens auch des Problems rekordtiefer Umfragewerte für die CSU, wie CSU-Hero Edmund Stoiber* zu Protokoll gab.
Was Stoiber wie auch Seehofer sagen: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Doch, das tut er. Genauso wie die CSU. Dass sie nicht in die bayerische Landesregierung gehört, das können die stimmberechtigten Bayern am 14. Oktober zeigen.
* Berichtigung: In einer ersten Version hieß es, Seehofer hätte dies gesagt.
Bildquelle: Twitter, Markus Söder