Linker Europaparteitag – Lexikologen unter sich

Die Linke diskutiert in Hamburg ihr Europawahlprogramm und ergeht sich im Kampf um die Bedeutung einzelner Worte – vorne Weg: Der Streitbegriff „Kapitalismus“

Die akribische Wortklauberei hatte schon das Vorfeld des Parteitags aufgewühlt und auch die ersten Stunden der Debatte in Hamburg bestimmt: Darf man die EU „militaristisch“ nennen?

„Klar!“, riefen die einen. Als Linker muss man den Gottseibeiuns doch beim richtigen Namen nennen dürfen. Das ist doch die Kernaufgabe und Auftrag einer kapitalismuskritischen Partei. Andere wiederum hören bei dem Wort „Militarismus“ in den Obertönen preußische Militärmusik, in der Rhythmik der fünf Silben den Stechschritt deutlich heraus. Und damit hat die EU nun wirklich nichts zu tun.

Das lexikalische Scharmützel hatte gerade erst begonnen.

Kapitalismus, was ist das?

Nachdem keine Änderungsanträge zum „sogenannten Kompromiss“ – die Militarismus-freie Präambel ist damit gemeint – angenommen wurden, geht es um nichts weniger als um den Kapitalismus.

Ist nun der Finanzkapitalismus verantwortlich für die Krise? Oder stehen die Menschen Südeuropas vor den Scherben ihrer Existenz wegen des Kapitalismus allgemein? Und was ist überhaupt der Unterschied?

Vorstandsmitglied Axel Troost sagt, den Kapitalismus habe es schon lange gegeben. Aber erst der Finanzkapitalismus der letzten Jahre habe die Krise entfacht. Ein junger Delegierte aus Sachsen spricht indes davon, dass das System ja das gleiche sei. Deswegen plädiert sein Verband auch dafür, den Kapitalismus ausweisen als das, was soziale Ungleichheit verschärft. „Auch der Bäcker, der seine Brötchen bäckt und verkauft, ist Teil des Systems“, haut ein anderer junger Linker in dieselbe Kerbe.

Der hessische Hardliner Dieter Dehm mischt sich mit einer überraschend austarierten Wortmeldung ein: Es gebe doch auch einen „anderen Kapitalismus“ – den der Investitionen zum Beispiel. Der Saal weiß nicht so recht, wie er darauf zu reagieren hat. War das jetzt noch Kapiatlismus-Kritik?

Dehm ist es auch, der nach der Annahme des Parteiprogramms spontan die Bühne betritt. Froh sei er, sagt er, dass die Militarismus-Formulierung so ins Programm gekommen sei. Dort steht jetzt, dass eine konsequente Entmilitarisierung der EU ein wichtiger Beitrag für eine friedliche Entwicklung ist.

Die Diskussion um ideologisch umkämpfte Kernbegriffe und radikale Parolen wird die Linke noch lange begleiten.

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